All Saints Day / All Souls Day

19:20 Weltwärtsfreiwillige in Mactan 4 Comments

-Ãœber den Umgang mit dem Tod-


„Just observe and learn more about the Philippino culture“ Diesen Auftrag bekommen wir von unserer Mentorin für die anstehenden Feiertage: All Saints und All Souls Day.
Einige Tage zuvor fragt uns unsere Gastmutter, ob wir diesen Tag mit ihr und ihrer Familie verbringe wollen, was wir sehr gespannt bejahen.

Die katholischen Feiertage All Saints Day und All Souls Day dienen der Ehrerbietung von Verstorbenen und Heiligen. Auf den Philippinen nehmen sich Familienmitglieder an diesen Tagen bewusst Zeit für die Verstorbenen, richten ihre Gräber neu her, essen gemeinsam mit dem Geist des Toten an seinem Grab zu Abend und verbringen dort manchmal sogar die ganze Nacht. Beides sind wichtige Feiertage für die Mehrheit der Philippin@s, da ca. 81% der Bevölkerung dem katholischen Glauben angehören. Dieser kam im 16. Jahrhunderts durch die spanische Kolonialisierung auf den Inselarchipel. Viele Philippin@s besuchen die Kirche wöchentlich, zudem gibt es beispielsweise bei uns in der Village jeden Abend die Möglichkeit, gemeinsam den Rosenkranz zu beten.
Dem Muslimischen Glauben gehören nur ca. 5% der Philippin@s an, die meisten von ihnen leben im Süden (Mindanao).
Unserer Gastmutter ist evangelisch, so wie ca. 3% der gesamten philippinischen Bevölkerung. Dennoch nimmt sie (und somit auch wir) an den typisch katholisch-philippinischen Traditionen an diesen Tagen Teil, um ihre katholischen Familienangehörigen bei ihrer Trauer um den Tod von Geliebten zu unterstützen.

Am Morgen des ersten Novembers steigen wir also in ein vollgepacktes Auto eines Verwandten und beginnen unsere Reise. Der erste Stopp nach ca. 45 Minuten Fahrt führt uns in das Haus ihrer Schwester, wo wir ihrem Teil der Familie als Ate Tea* „Anaks“ (Cebuano für Kinder) vorgestellt werden. Es braucht nur zwei Karaoke Darbietungen sowie ein gemeinsames Verspeisen von Bibinka (philippinische Reisküchlein), Pansit (traditionelles Nudelgericht) und Reis bis wir uns wirklich wie ein Teil der Familie fühlen. Schnell erklären uns die anwesenden Kinder sowohl die Namen und Zubereitungsarten der verschiedenen Gerichte, Verwandtschaftsverhältnisse der anwesenden Personen sowie die Regeln für ihr Lieblingsspiel (wie Boccia nur mit Gummibändern), bei welchem auch wir mal unser Glück probieren dürfen.

Bibinka- ein im Feuer gebackener Reiskuchen
Evin versucht sich am Gummi-Boccia
An vielen Ecken werden Blumen für die Gräber verkauft
Der Hauptakt des Treffens ist jedoch der gemeinsame Besuch des Friedhofes, auf welchem die Eltern unserer Gastmutter begraben liegen. Als wir den Friedhof betreten, sind alle unserer Sinne gefordert.
Ein markanter Farbgeruch von frisch renovierten Gräbern steigt uns in die Nase.
Unsere Ohren müssen sich besonders anstrengen um zwischen leichten Windböen und leise geflüsterten Gebete unterscheiden zu können.
Fühlen können wir die unterschiedlichsten Arme die unsere Hand nehmen, um uns Gräber von Verwandten bzw. verstorbene Freunden zu zeigen.
Unsere Augen blicken auf, im Vergleich zu deutschen Friedhöfen, ungewöhnlich viel weiß. Nach einigem Überlegen kommen wir zu dem Schluss, dass die Farbe für uns viel mehr Ruhe ausstrahlt; mehr wie ein Fried(en)hof.

Weise Gräber aus Beton und Stein schaffen eine ganz besondere Atmosphäre 
Eine alte Sardinendose umfunktioniert als Grabvase
Auf der Reiseroute stehen noch zwei weitere Familienhäuser, weshalb wir recht früh wieder unseren Weg vom Friedhof zurück ins Auto machen.
Es folgen zwei Stunden Fahrt in nördliche Richtung finden wir uns inmitten von Zuckerrohrfeldern wieder. Auch hier treffen wir Familie unser Gastmutter, essen gemeinsam und genießen das Ambiente dieses Familientreffens. Doch die Schönheit der Natur an diesem Ort können wir nur kurz genießen, denn es geht wieder zurück in das Auto um die letzte Fahrtetappe anzutreten.
Familientreffen zwischen Palmen und Zuckerrohr
Während der Fahrt entdecken wir am Straßenrand Eingänge zu Friedhöfen, an welchen sich mit zunehmender Dunkelheit immer mehr parkende Autos befinden. Manchmal erhaschen wir im Vorbeifahren einen Blick auf geschmückte Gräber und Familien, die es sich neben den Gedenkstätten ihre Angehörigen gemütlich machen. Da die Straßen nun aber immer leerer werden und unser Auto somit immer mehr an Fahrt gewinnt, bleiben alle diese Eindrücke nur verschwommene Momentaufnahmen in unseren Köpfen.

Umso gespannter sind wir daher, als wir uns selbst, nach einem Abendessen bei der Schwester unserer Gastmutter, auf den Weg zum Friedhof machen. Wir steigen aus dem Auto aus und sind umgeben von Kindern mit Kerzen in der Hand, Eltern die die Behälter mit Essen vorsichtig durch die Menschen manövrieren und örtlichen Sari-Sari Verkäufern, welche unterschiedlichste Snacks, Getränke und Lichterspiele am Straßenrand anbieten.
Wir betreten den Friedhof indem wir zwei, fast Häuser ähnliche Gräber, passieren. „Beide Familien haben ihre einzige Tochter bzw. Sohn in jungen Jahren verloren und suchen an diesem Ort oft Ruhe für ihre Trauer“, erzählt uns Ate Tea*. Dahinter offenbart sich für uns ein ungewohnter und wohl auch einmaliger Anblick. Links und rechts tuen sich Wände von Gräbern auf, die Namen der verstorbenen sind nur teilweise durch flackerndes Kerzenlicht oder kühle weiße Glühbirnen erleuchtet. 



Verstreut auf dem Friedhof stehen erhöhte, aus Stein gebaute Gräber, auf welchen Kinder und Erwachsenen zusammen Karten spielen, Anekdoten über den Verstorben austauschen, gemeinsam Abend essen oder Ruhe für ihre Trauer suchen.

Viele Gräber sind mit Bunten Blumen und Kerzen dekoriert

Auf Gräbern der Verstorbenen sitzen, darauf Fotos schießen, dort essen...aus deutschem Kontext wohl eher ein Zeichen von Respektlosigkeit. Doch für uns sind es gerade dieses Rituale, welche die familiäre Stimmung auf dem Friedhof bestimmen. Dem Toten sowohl physisch als auch seelisch nahe sein, ihm durch ein Klopfen an sein Grab „Bescheid sagen“, dass man da ist. Die Trauer um den Tod, ausgedrückt durch das Anzünden von drei Kerzen und Beilegen von Blumen, verlieren durch die Gemeinschaft der Angehörigen und die lockere Stimmung an Schrecken. Manche haben sogar Fernseher aufgebaut oder Priester zum Messe halten an das Grab gebeten. Es wirkt, als wäre der Tote für diesen einen Abend wieder anwesend als ganz normaler Teilnehmer einer Familienfeier.



Während wir an einem Grab von Verwandten unserer Gastmutter verweilen, kommen wir ins Nachdenken:

Wie gedenke ich selbst denn meinen verstorbenen Angehörigen?

Welchen Umgang mit meinem Tod wünsche ich mir von meiner Familie/ meinen Freuden?

Diese Fragen sind sehr persönlich und auch nicht leicht zu beantworten.
Unserer Erfahrung auf einem philippinischen Friedhof haben uns eine ganz andere Art und Weise des Umgangs mit Trauer bzw. Verlust von Geliebten gezeigt.
Irgendwie schön - denken wir uns - wenn der eigene Tod an Feiertagen wie diesen dazu führt, dass sich die ganze Familie gegenseitig besucht und Zeit miteinander verbringt. Es heißt doch so soft: „Wie sehr man jemanden wirklich liebt merk man erst, wenn er oder sie nichtmehr da ist.“ Warum dann nicht die Trauer über den Tod eines Geliebten in Wertschätzung der Lebendigen umwandeln?

 
„Werdet ihr nächstes Jahr wieder Teil nehmen?“ werden wir gefragt.
Unsere physische Anwesenheit müssen wir verneinen, aber die Idee und Teile der philippinischen Interpretation dieses Feiertages wollen wir zurück nach Europa nehmen. Losgelöst vom katholischen Hintergrund, frei von einem festen Datum im Jahr.
Wie wir beide diesen besonderen Umgang mit dem Tod in unser Leben integrieren, bleibt jedem selbst überlassen. Vielleicht ist es ja ein Abendessen auf dem Friedhof, vielleicht ein Besuch des Grabes, der etwas länger dauert als gewöhnlich. Vielleicht nutzt man auch die Gegenwart des Todes um sich in Erinnerung zu rufen, wie sehr man die Anwesenheit der noch lebendigen Geliebten schätzt und nimmt sich deshalb bewusster Zeit für sie.

Müde und erschöpft von unserem Trip fallen wir am Abend ins Bett, für eine kurze Whatsapp-Nachricht an die Geliebten Zuhause bleibt aber dennoch Zeit.



 * Alle Namen wurden zum Schutz der Personen verändert
Quelle:

English version:


„Just observe and learn more about the Philippino culture “. This is our given task for the upcoming holidays: All Saints and All Souls Day. A few days in advance our host mother asks us, if we want to spend this day with her and her family. Excited about this given opportunity, we agree to the plan.

The catholic holidays All Saints Day and All Souls Day serve as an opportunity to honor the dead and saints. In the Philippines relatives use these days to consciously spend some time with the dead, renew his or her grave, have dinner with the spirit of the dead right next to the grave and sometimes even spend the whole night at the cemetery. Both are important Holidays for the majority of the Filipin@s, because 81% of the Filipino population are catholic. The catholic believe made its way on the archipelago during the 16th century as a result of the Spanish colonization. Most of them go to church on a weekly basis, additionally it is common to pray the rosary.
5-9% of the Filipinos are Muslim, the majority of them is living in the south of the Philippines (Mindanao). About 5% are either followers of indigenous religions, Hinduism, Buddhism or don’t have a religion.
Our host mother is protestant, just like approximately 5% of the whole Philippine population. Nevertheless, she participates in the typical Philippine-catholic traditions in order to support her catholic family members in their grief about the loss of loved ones.

Morning of November 1st we make our way into a fully loaded car of one of Ate Tea’s* relatives and start our journey. After a 45-minute car ride we arrive at our first stop, the house of Ate Tea’s* sister where we are introduced to her side of the family as Ate Tea’s*“anaks” (Cebuano for children). It only takes two Karaoke performances and a few traditional snacks and we feel as a part of the family. The children of the family explain us the names of the food standing on the table, the different family relationships as well as the rules for their favorite game (just like boccie in which rubber bands substitute the balls). 











But the main reason of the family gathering is the common visit of the cemetery. All or senses are stimulated as we enter the place.
A distinct scent of fresh paint and newly renovated graves enters our noses.
Our ears have to listen very closely in order to differ between the calmly blowing wind and silent prayers spoken by grieving relatives.
Our eyes can see an unusual amount of white, compared to German cemeteries. After a while we find that this color radiates a lot of piece and seems to be more fitting for this place than black gravestones.

We still have two more stops ahead of us which is why we leave the cemetery quite early in order to make our way back to the car. After a two-hour car ride we find ourselves surrounded by endless sugar cane fields. Here we again eat with relatives of our host mother and enjoy the atmosphere of the family gathering. But we only have a few hours to appreciate this beautiful place because as soon as everyone is finished with eating we begin the last part of our trip.
During the car ride we discover multiple cemeteries with growing numbers of parked cars close to the entrance. Sometimes we catch a sight of decorated graves and families who set up their resting place for the coming night. Due to the vanishing traffic and the increasing speed of our vehicle these impressions are only blurry snapshots in our minds.

As a result, we are even more keen on seeing these sceneries ourselves right after a dinner at our last family stop. Leaving the car, we are surrounded by children with candles in their hands, parents carrying boxes of food trough the crowds and local sari-sari vendors, selling different types of snacks, soft drinks and glow sticks.
We enter the cemetery while passing two, almost house-like, graves. “Both families lost their only child at a very young age and built this mausoleum to have a place for their grieving”, Ate Tea* explains. After passing these buildings we encounter a rather unusual and unique sight for us. High walls made up of stone graves rise to our left as well as to our right side into the sky. The names written on the graves are enlightened by flickering candles or cold-shining lightbulbs. Elevated graves are scattered all around the cemetery most of them even have their own roof. Children and Adults are sitting on these graves, play cards, exchange amusing stories about the dead person, have dinner together or seek room to express their grief.

Sitting on top of a loved one’s grave, taking pictures with it, having dinner at the cemetery…rather a sign of disrespect from a German perspective. But for us these exact rituals make up the very special atmosphere. Being close to the dead one, physically and spirituality, knocking on his grave to let him know that you are there. The grief over the loss, expressed through lightening three candles and placing flowers in front of the grave, loses its scariness due to the community and the rather relaxed atmosphere. Some families even brought TVs or invited a priest to hold a mess at the grave. It seems as if at this night the dead person is present again, just like on every ordinary family gathering. While we linger at a grave of Ate Tea’s* relatives our minds drift of, thinking about death:

How do I remember my dead relatives?

How do I want my family/my friends to deal with my death?

These questions are very personal and not easy to answer.
Our experiences on the Philippine cemetery have shown us a different approach to dealing with grief and losing a loved one.
Somehow relieving – we think – if your own death results in your family visiting and spending time with each other on special occasions like this holiday. How often do we hear: “You only realize how much you love someone, if he or she is not there anymore”?
Why not use the deep sorrow that we feel over our loss and transform it into appreciation for the loved ones that are still alive?

“Will you be part of our festivities again next year?” we are asked.
We have to deny our physical presence, but we want to take the idea and part of the Philippine interpretation of this holiday back to Europe. Detached from the catholic background, not tied to a specific day in the year.
How both of us will integrate this special attitude towards death is our individual choice. Maybe it will be a dinner next to the grave of a loved one, maybe a visit of the cemetery that lasts longer than usual. Maybe one can use the presence of death in order to remind oneself of how much we appreciate the presence of our living relatives and spent some extra time with them.

That night we sink into our beds tired and exhausted from our trip, but before going to sleep we save some time to write a short text message to our loved ones at home.

*All names have been changed in order to protect the individuals
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