All Saints Day / All Souls Day
-Ãœber den Umgang mit dem Tod-
„Just observe
and learn more about the Philippino culture“ Diesen Auftrag bekommen wir von
unserer Mentorin für die anstehenden Feiertage: All Saints und All Souls Day.
Einige Tage
zuvor fragt uns unsere Gastmutter, ob wir diesen Tag mit ihr und ihrer Familie
verbringe wollen, was wir sehr gespannt bejahen.
Die katholischen
Feiertage All Saints Day und All Souls Day dienen der Ehrerbietung von Verstorbenen
und Heiligen. Auf den Philippinen nehmen sich Familienmitglieder an diesen
Tagen bewusst Zeit für die Verstorbenen, richten ihre Gräber neu her, essen gemeinsam
mit dem Geist des Toten an seinem Grab zu Abend und verbringen dort manchmal
sogar die ganze Nacht. Beides sind wichtige Feiertage für die Mehrheit der
Philippin@s, da ca. 81% der Bevölkerung dem katholischen Glauben angehören. Dieser
kam im 16. Jahrhunderts durch die spanische Kolonialisierung auf den
Inselarchipel. Viele Philippin@s besuchen die Kirche wöchentlich, zudem gibt es
beispielsweise bei uns in der Village jeden Abend die Möglichkeit, gemeinsam
den Rosenkranz zu beten.
Dem Muslimischen
Glauben gehören nur ca. 5% der Philippin@s an, die meisten von ihnen leben im
Süden (Mindanao).
Unserer Gastmutter
ist evangelisch, so wie ca. 3% der gesamten philippinischen Bevölkerung. Dennoch
nimmt sie (und somit auch wir) an den typisch katholisch-philippinischen Traditionen
an diesen Tagen Teil, um ihre katholischen Familienangehörigen bei ihrer Trauer
um den Tod von Geliebten zu unterstützen.
Am Morgen des
ersten Novembers steigen wir also in ein vollgepacktes Auto eines Verwandten und
beginnen unsere Reise. Der erste Stopp nach ca. 45 Minuten Fahrt führt uns in
das Haus ihrer Schwester, wo wir ihrem Teil der Familie als Ate Tea* „Anaks“
(Cebuano für Kinder) vorgestellt werden. Es braucht nur zwei Karaoke Darbietungen
sowie ein gemeinsames Verspeisen von
Bibinka (philippinische Reisküchlein), Pansit (traditionelles Nudelgericht) und
Reis bis wir uns wirklich wie ein Teil der Familie fühlen. Schnell erklären uns
die anwesenden Kinder sowohl die Namen und Zubereitungsarten der verschiedenen
Gerichte, Verwandtschaftsverhältnisse der anwesenden Personen sowie die Regeln
für ihr Lieblingsspiel (wie Boccia nur mit Gummibändern), bei welchem auch wir
mal unser Glück probieren dürfen.
Bibinka- ein im Feuer gebackener Reiskuchen |
Evin versucht sich am Gummi-Boccia |
An vielen Ecken werden Blumen für die Gräber verkauft |
Der Hauptakt des
Treffens ist jedoch der gemeinsame Besuch des Friedhofes, auf welchem die
Eltern unserer Gastmutter begraben liegen. Als wir den Friedhof betreten, sind
alle unserer Sinne gefordert.
Ein markanter
Farbgeruch von frisch renovierten Gräbern steigt uns in die Nase.
Unsere Ohren müssen
sich besonders anstrengen um zwischen
leichten Windböen und leise geflüsterten Gebete unterscheiden zu können.
Fühlen können wir die unterschiedlichsten
Arme die unsere Hand nehmen, um uns Gräber von Verwandten bzw. verstorbene Freunden
zu zeigen.
Unsere Augen
blicken auf, im Vergleich zu deutschen Friedhöfen, ungewöhnlich viel weiß. Nach
einigem Überlegen kommen wir zu dem Schluss, dass die Farbe für uns viel mehr
Ruhe ausstrahlt; mehr wie ein Fried(en)hof.
Weise Gräber aus Beton und Stein schaffen eine ganz besondere Atmosphäre |
Eine alte Sardinendose umfunktioniert als Grabvase |
Auf der Reiseroute stehen noch zwei weitere
Familienhäuser, weshalb wir recht früh wieder unseren Weg vom Friedhof zurück ins
Auto machen.
Es folgen zwei Stunden Fahrt in
nördliche Richtung finden wir uns inmitten von Zuckerrohrfeldern wieder. Auch
hier treffen wir Familie unser Gastmutter, essen gemeinsam und genießen das Ambiente
dieses Familientreffens. Doch die Schönheit der Natur an diesem Ort können wir
nur kurz genießen, denn es geht wieder zurück in das Auto um die letzte
Fahrtetappe anzutreten.
Familientreffen zwischen Palmen und Zuckerrohr |
Während der Fahrt entdecken wir am
Straßenrand Eingänge zu Friedhöfen, an welchen sich mit zunehmender Dunkelheit
immer mehr parkende Autos befinden. Manchmal erhaschen wir im Vorbeifahren einen
Blick auf geschmückte Gräber und Familien, die es sich neben den Gedenkstätten
ihre Angehörigen gemütlich machen. Da die Straßen nun aber immer leerer werden
und unser Auto somit immer mehr an Fahrt gewinnt, bleiben alle diese Eindrücke
nur verschwommene Momentaufnahmen in unseren Köpfen.
Umso gespannter sind wir daher, als
wir uns selbst, nach einem Abendessen bei der Schwester unserer Gastmutter, auf
den Weg zum Friedhof machen. Wir steigen aus dem Auto aus und sind umgeben von
Kindern mit Kerzen in der Hand, Eltern die die Behälter mit Essen vorsichtig
durch die Menschen manövrieren und örtlichen Sari-Sari Verkäufern, welche
unterschiedlichste Snacks, Getränke und Lichterspiele am Straßenrand anbieten.
Wir betreten den Friedhof indem wir
zwei, fast Häuser ähnliche Gräber, passieren. „Beide Familien haben ihre
einzige Tochter bzw. Sohn in jungen Jahren verloren und suchen an diesem Ort
oft Ruhe für ihre Trauer“, erzählt uns Ate Tea*. Dahinter offenbart sich für uns
ein ungewohnter und wohl auch einmaliger Anblick. Links und rechts tuen sich
Wände von Gräbern auf, die Namen der verstorbenen sind nur teilweise durch flackerndes
Kerzenlicht oder kühle weiße Glühbirnen erleuchtet.
Viele Gräber sind mit Bunten Blumen und Kerzen dekoriert |
Auf Gräbern der Verstorbenen sitzen, darauf
Fotos schießen, dort essen...aus deutschem Kontext wohl eher ein Zeichen von Respektlosigkeit.
Doch für uns sind es gerade dieses Rituale, welche die familiäre Stimmung auf
dem Friedhof bestimmen. Dem Toten sowohl physisch als auch seelisch nahe sein,
ihm durch ein Klopfen an sein Grab „Bescheid sagen“, dass man da ist. Die Trauer
um den Tod, ausgedrückt durch das Anzünden von drei Kerzen und Beilegen von Blumen,
verlieren durch die Gemeinschaft der Angehörigen und die lockere Stimmung an
Schrecken. Manche haben sogar Fernseher aufgebaut oder Priester zum Messe
halten an das Grab gebeten. Es wirkt, als wäre der Tote für diesen einen Abend
wieder anwesend als ganz normaler Teilnehmer einer Familienfeier.
Während wir an einem Grab von Verwandten
unserer Gastmutter verweilen, kommen wir ins Nachdenken:
Wie gedenke ich selbst denn meinen
verstorbenen Angehörigen?
Welchen Umgang mit meinem Tod wünsche ich
mir von meiner Familie/ meinen Freuden?
Diese Fragen sind sehr persönlich und auch
nicht leicht zu beantworten.
Unserer Erfahrung auf einem philippinischen
Friedhof haben uns eine ganz andere Art und Weise des Umgangs mit Trauer bzw. Verlust
von Geliebten gezeigt.
Irgendwie schön - denken wir uns - wenn
der eigene Tod an Feiertagen wie diesen dazu führt, dass sich die ganze Familie
gegenseitig besucht und Zeit miteinander verbringt. Es heißt doch so soft: „Wie
sehr man jemanden wirklich liebt merk man erst, wenn er oder sie nichtmehr da
ist.“ Warum dann nicht die Trauer über den Tod eines Geliebten in Wertschätzung
der Lebendigen umwandeln?
„Werdet ihr nächstes Jahr wieder Teil nehmen?“
werden wir gefragt.
Unsere physische Anwesenheit müssen
wir verneinen, aber die Idee und Teile der philippinischen Interpretation dieses
Feiertages wollen wir zurück nach Europa nehmen. Losgelöst vom katholischen Hintergrund,
frei von einem festen Datum im Jahr.
Wie wir beide diesen besonderen Umgang
mit dem Tod in unser Leben integrieren, bleibt jedem selbst überlassen. Vielleicht
ist es ja ein Abendessen auf dem Friedhof, vielleicht ein Besuch des Grabes,
der etwas länger dauert als gewöhnlich. Vielleicht nutzt man auch die Gegenwart
des Todes um sich in Erinnerung zu rufen, wie sehr man die Anwesenheit der noch
lebendigen Geliebten schätzt und nimmt sich deshalb bewusster Zeit für sie.
Müde und erschöpft von unserem Trip fallen wir am Abend ins Bett, für eine kurze Whatsapp-Nachricht an die Geliebten Zuhause bleibt aber dennoch Zeit.
Quelle:
English version:
„Just observe and learn more about
the Philippino culture “. This is our given task for the upcoming holidays: All
Saints and All Souls Day. A few days in advance our host mother asks us, if we
want to spend this day with her and her family. Excited about this given opportunity,
we agree to the plan.
The catholic holidays All Saints Day
and All Souls Day serve as an opportunity to honor the dead and saints. In the Philippines
relatives use these days to consciously spend some time with the dead, renew
his or her grave, have dinner with the spirit of the dead right next to the
grave and sometimes even spend the whole night at the cemetery. Both are
important Holidays for the majority of the Filipin@s, because 81% of the
Filipino population are catholic. The catholic believe made its way on the archipelago
during the 16th
century as a result of the Spanish colonization. Most of them go to church on a
weekly basis, additionally it is common to pray the rosary.
5-9% of the Filipinos are Muslim,
the majority of them is living in the south of the Philippines (Mindanao). About
5% are either followers of indigenous religions, Hinduism, Buddhism or don’t have
a religion.
Our host mother is protestant, just
like approximately 5% of the whole Philippine population. Nevertheless, she
participates in the typical Philippine-catholic traditions in order to support
her catholic family members in their grief about the loss of loved ones.
Morning of November 1st
we make our way into a fully loaded car of one of Ate Tea’s* relatives and
start our journey. After a 45-minute car ride we arrive at our first stop, the
house of Ate Tea’s* sister where we are introduced to her side of the family as
Ate Tea’s*“anaks” (Cebuano for children). It only takes two Karaoke
performances and a few traditional snacks and we feel as a part of the family. The
children of the family explain us the names of the food standing on the table,
the different family relationships as well as the rules for their favorite game
(just like boccie in which rubber bands substitute the balls).
But the main
reason of the family gathering is the common visit of the cemetery. All or
senses are stimulated as we enter the place.
A distinct scent of fresh paint and
newly renovated graves enters our noses.
Our ears have to listen very closely
in order to differ between the calmly blowing wind and silent prayers spoken by
grieving relatives.
Our eyes can see an unusual amount
of white, compared to German cemeteries. After a while we find that this color radiates
a lot of piece and seems to be more fitting for this place than black
gravestones.
We still have two more stops ahead
of us which is why we leave the cemetery quite early in order to make our way
back to the car. After a two-hour car ride we find ourselves surrounded by
endless sugar cane fields. Here we again eat with relatives of our host mother
and enjoy the atmosphere of the family gathering. But we only have a few hours
to appreciate this beautiful place because as soon as everyone is finished with
eating we begin the last part of our trip.
During the car ride we discover
multiple cemeteries with growing numbers of parked cars close to the entrance.
Sometimes we catch a sight of decorated graves and families who set up their
resting place for the coming night. Due to the vanishing traffic and the
increasing speed of our vehicle these impressions are only blurry snapshots in
our minds.
As a result, we are even more keen
on seeing these sceneries ourselves right after a dinner at our last family
stop. Leaving the car, we are surrounded by children with candles in their
hands, parents carrying boxes of food trough the crowds and local sari-sari
vendors, selling different types of snacks, soft drinks and glow sticks.
We enter the cemetery while passing
two, almost house-like, graves. “Both families lost their only child at a very
young age and built this mausoleum to have a place for their grieving”, Ate
Tea* explains. After passing these buildings we encounter a rather unusual and
unique sight for us. High walls made up of stone graves rise to our left as
well as to our right side into the sky. The names written on the graves are
enlightened by flickering candles or cold-shining lightbulbs. Elevated graves
are scattered all around the cemetery most of them even have their own roof. Children
and Adults are sitting on these graves, play cards, exchange amusing stories
about the dead person, have dinner together or seek room to express their grief.
Sitting on top of a loved one’s
grave, taking pictures with it, having dinner at the cemetery…rather a sign of
disrespect from a German perspective. But for us these exact rituals make up
the very special atmosphere. Being close to the dead one, physically and spirituality,
knocking on his grave to let him know that you are there. The grief over the
loss, expressed through lightening three candles and placing flowers in front
of the grave, loses its scariness due to the community and the rather relaxed
atmosphere. Some families even brought TVs or invited a priest to hold a mess
at the grave. It seems as if at this night the dead person is present again,
just like on every ordinary family gathering. While we linger at a grave of Ate
Tea’s* relatives our minds drift of, thinking about death:
How do I remember my dead relatives?
How do I want my family/my friends
to deal with my death?
These questions are very personal
and not easy to answer.
Our experiences on the Philippine cemetery
have shown us a different approach to dealing with grief and losing a loved
one.
Somehow relieving – we think – if your
own death results in your family visiting and spending time with each other on special
occasions like this holiday. How often do we hear: “You only realize how much
you love someone, if he or she is not there anymore”?
Why not use the deep sorrow that we
feel over our loss and transform it into appreciation for the loved ones that
are still alive?
“Will you be part of our festivities
again next year?” we are asked.
We have to deny our physical
presence, but we want to take the idea and part of the Philippine
interpretation of this holiday back to Europe. Detached from the catholic
background, not tied to a specific day in the year.
How both of us will integrate this
special attitude towards death is our individual choice. Maybe it will be a
dinner next to the grave of a loved one, maybe a visit of the cemetery that
lasts longer than usual. Maybe one can use the presence of death in order to remind
oneself of how much we appreciate the presence of our living relatives and
spent some extra time with them.
That night we sink into our beds
tired and exhausted from our trip, but before going to sleep we save some time to
write a short text message to our loved ones at home.
*All names have been changed in order to protect the individuals
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